Der Arbeitstag endet nie – aber die KI könnte retten, was zu retten ist (sagt Microsoft..)
- erichuesler
- 20. Juni
- 3 Min. Lesezeit

Nine-to-five war gestern, heute ist eher: immer und überall.
Früher startete man um 9 Uhr, trank um 10 den ersten Kaffee und ging um 17 Uhr zufrieden nach Hause. Heute? Schaut man morgens um 6 Uhr noch im Pyjama die ersten Mails an – und fragt sich um 23:17 Uhr, ob die Antwort auf die Slack-Nachricht vom Kollegen in Singapur nicht doch noch schnell raus sollte. Freizeit? Ein Konzept aus dem Museum der Arbeitswelt.
Microsoft hat sich das moderne Arbeitschaos genauer angeschaut und in seinem neuen Work Trend Index Report («Breaking down the infinite workday») gnadenlos seziert. Grundlage sind Milliarden (!) von Daten aus Microsoft 365 und eine Umfrage mit über 30 000 Berufstätigen weltweit.
Die Bilanz:
117 E-Mails pro Tag – die meisten vermutlich mit «Dringend» markiert.
153 Teams-Nachrichten täglich – die Hälfte davon GIFs, die andere Hälfte unklare Aufgaben.
57 Prozent der Meetings entstehen spontan – Überraschungsbesprechungen: der Horror jedes Kalenders.
Und alle 2 Minuten piepst, ploppt, blinkt oder vibriert irgendwo ein weiteres digitales «Dringend!».
Willkommen im endlosen Arbeitstag.Im digitalen Zeitalter gilt: Wer nicht sofort antwortet, lebt gefährlich. E-Mails schießen im Sekundentakt auf den Bildschirm, Slack meldet sich pünktlich, Teams schreit nach Aufmerksamkeit – alles unter dem Motto: «Hallo, ich störe nur kurz!»
Multitasking? Eher Multistressing.
Nur noch 32 Prozent der Befragten haben überhaupt mal echte Fokuszeit. Die anderen 68 Prozent arbeiten zwischen Meetings, Pop-ups, Ping-Tönen und einer wachsenden To-do-Liste. Kreative Arbeit? Tja. Die bleibt dann für den Feierabend. Oder das Wochenende.
29 Prozent checken nach 22 Uhr noch schnell die Mails (Betthupferl mal anders).
50+ Nachrichten täglich außerhalb der Arbeitszeit – Freizeit wird überschätzt.
20 Prozent arbeiten am Wochenende – vermutlich am Projekt, das eigentlich „nur eine Kleinigkeit“ war.
Mehr Tools, mehr Chaos
Microsoft Schweiz nennt das Ganze treffend paradox: «Mehr Kommunikationskanäle, aber gefühlt mehr Durcheinander.» (Und irgendwo lacht ein Entwickler von Microsoft Teams hysterisch in sein Headset.)
Die Lösung? Natürlich: Künstliche Intelligenz!
Microsoft hätte da nämlich zufällig gerade etwas im Angebot: KI-Assistenten wie Copilot könnten den Wahnsinn bändigen. Statt sich im E-Mail-Dschungel zu verirren, erledigt die KI die Routinejobs, filtert Wichtiges raus und lässt dem Menschen Raum für die wirklich wichtigen Aufgaben. Klingt gut – fast zu gut.
Barbara Körner, Arbeitspsychologin aus Zürich, bleibt skeptisch lt NZZ vom 20.6.2025:«Wenn die KI morgens brav die Mails sortiert und mir die Aufgaben häppchenweise serviert – super! Aber wir sind noch nicht ganz so weit. Und am Ende hilft manchmal doch nur: abschalten. Also wirklich abschalten.» (Strom, Geräte, Chef.)
Drei Vorschläge für den Ausweg aus dem digitalen Hamsterrad:
80/20-Regel: 80 Prozent des Ergebnisses mit 20 Prozent der Arbeit schaffen. (Den Rest macht Copilot. Oder bleibt liegen.)
Schlanke Teams: Agil, flexibel, KI als Super-Praktikant.
Der Agenten-Boss: Der Mitarbeiter arbeitet mit einem persönlichen Bot-Team: einer sammelt Infos, einer wertet aus, einer schreibt alles hübsch zusammen. Der Mensch darf dann glänzen – wie ein Dirigent, der selbst keine einzige Note spielt.
Ein bisschen Realität bitte.
Accenture geht es pragmatisch an: KI-Werkzeuge ja, aber kombiniert mit gesundem Menschenverstand. Meetings komplett abschaffen? Unrealistisch. Aber allen Mitarbeitenden regelmäßig kleine Oasen der Ruhe gönnen? Sehr sinnvoll.
Fazit:Die Zukunft der Arbeit könnte traumhaft effizient sein – wenn wir sie nicht vorher selbst in den Wahnsinn treiben. Und bis die KI endlich die perfekte Assistentin wird, bleibt nur eins: manchmal den Stecker ziehen. Und den Chef höflich daran erinnern, dass auch Roboter Pausen brauchen.
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