In Deutschland arbeiten immer mehr ältere Menschen, obwohl sie bereits eine Rente beziehen. Die Bundesregierung möchte diesen Trend durch finanzielle Anreize weiter fördern, um dem Fachkräftemangel in der Wirtschaft entgegenzuwirken. Während linke Parteien vor der Gefahr eines „Lebens voller Arbeit bis zum Tod“ warnen, zeigt die Glücksforschung, dass es von Vorteil sein kann, den Ruhestand hinauszuzögern. Erwerbstätige Rentner sind laut einer Studie des Instituts für Finanzwissenschaft und Sozialpolitik der Universität Freiburg deutlich zufriedener als nicht arbeitende Senioren.
Laut den Forschern erleidet der durchschnittliche Neurentner einen spürbaren Rückgang an Lebenszufriedenheit und fällt oft in ein „drei Jahre langes Loch“ nach Rentenbeginn. Im Gegensatz dazu steigert sich bei arbeitenden Rentnern das Lebensglück, eine Entwicklung, die Bernd Raffelhüschen und sein Team anhand von Daten des „Sozioökonomischen Panels“ des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) analysiert haben. Die Auswertung der Lebenszufriedenheit von Personen, die zwischen 2010 und 2020 in Rente gingen, zeigt: Bei Rentnern, die weiterhin arbeiten, bleibt das Wohlbefinden über Jahre hinweg höher als vor Renteneintritt.
Ein entscheidender Faktor für den Rückgang des Glücks bei nicht erwerbstätigen Rentnern ist der finanzielle Einschnitt. Ihr Haushaltseinkommen sinkt im Durchschnitt um 20 %, was vielen Schwierigkeiten bereitet, ihren Lebensstandard aufrechtzuerhalten. Im Gegensatz dazu ermöglicht Arbeit im Alter eine finanzielle Stabilität und erhöht die Lebenszufriedenheit. Aus der Perspektive der Glücksforschung wird ein schrittweiser Rückzug aus dem Arbeitsleben als vorteilhafter betrachtet.
Der Trend zum längeren Arbeiten ist seit Jahren spürbar: Laut dem Statistischen Bundesamt waren 2022 fast 20 % der 65- bis 69-Jährigen noch berufstätig – doppelt so viele wie zehn Jahre zuvor. Besonders häufig setzen Personen mit hohem Bildungsniveau ihre berufliche Tätigkeit im Alter fort, oft in Teilzeit oder Minijobs. Die Hauptgründe dafür sind der Spaß an der Arbeit, der Wunsch nach einer sinnvollen Aufgabe und der Erhalt sozialer Kontakte. Finanziell motivierte Gründe spielen bei 43 % der Befragten ebenfalls eine Rolle.
Die Teilzeitbeschäftigung im Alter vereint die Vorteile beider Welten, so Raffelhüschen: Man bleibt gebraucht, übernimmt weniger Verantwortung und verbessert gleichzeitig die finanzielle Lage. Zugleich bleibt genug Freizeit, um eigene Interessen zu verfolgen.
Auch wissenschaftliche Studien bestätigen die Vorteile längeren Arbeitens: Das RWI-Leibniz-Institut fand heraus, dass der Ruhestand den geistigen Abbau beschleunigt. Menschen, die im Ruhestand sind, verlieren schneller die Fähigkeit, sich Wörter zu merken, als jene, die weiterarbeiten.
Trotz dieser positiven Aspekte lehnt die Bundesregierung eine Erhöhung des gesetzlichen Renteneintrittsalters ab. Jedoch plant die Koalition im Rahmen einer „Wachstumsinitiative“ Maßnahmen, um das Weiterarbeiten im Alter attraktiver zu gestalten. So sollen zum Beispiel die Hinzuverdienstregeln für verwitwete Ehepartner verbessert und Rentner, die weiterarbeiten, durch höhere Lohnzuschläge von den Beiträgen zur Renten- und Arbeitslosenversicherung profitieren.
Laut einer aktuellen Umfrage der Jobbörse Stepstone ziehen 39 % der Beschäftigten ab 55 Jahren eine Weiterarbeit über das gesetzliche Rentenalter hinaus in Erwägung. Weitere 34 % wären unter entsprechenden Bedingungen ebenfalls bereit, länger zu arbeiten – besonders flexible Arbeitszeiten und Teilzeitmodelle sind dafür ausschlaggebend.
Eigentlich fehlen nun nur noch die Arbeitgeber, welche gewillt und interessiert sind, die Senioren einzustellen...
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